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6 april 1867

van

Multatuli

aan

Heinrich Ludwig Flemmich (bio)

 

Volledige Werken. Deel 12. Brieven en dokumenten uit de jaren 1867-1868 (1979)

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*6 en 7 april 1867

Brief van Multatuli aan mevrouw Flemmich. (Nederlandsch Museum 19, 1894, blz. 268-273)

Idee 501: zie V.W. III, blz. 239.

sie: Mimi.

Cöln, 6 April abends.

Sehr geehrte Frau, liebe Freundin, Ich weis wohl, kann aber nicht gut sagen warum ich erst jetzt danke für den schönen Brief, den Sie die Güte hätten mir zu schreiben. Was auch die Ursache sei, Undankbarkeit war's nicht. Auch nicht weil ich nichts zu sagen hatte. Im Gegentheil. Ich hatte und habe Ihnen viel zu sagen, und ich denke dabei an Idee 501. Es ist mir so angenehm verstanden zu werden. Ja, wem nicht?

Es gibt aber verstehen und verstehen, und es war oft mein Loos meinen besten Zuhörer nicht zu finden unter den Herren der Schöpfung. Darüber habe ich zwar in Antwerpen nicht zu klagen gehabt - doch das wird sich ändern! Nach meiner Erfahrung profezeie ich eine sehr verdriessliche Reaction, und ich fürchte dass man mich bald so weit unter meinen Werth stellen wird, als man aus Güte (und anderen Ursachen) bis jetzt mich viel zu hoch stellte. Das weis ich, das erwarte ich, das muss sein. Und ich werde es tragen können. Doch sehr schwer würde mir der Verlust fallen Ihrer Gewogenheit. Eine gebildete Dame mit Herz und zartes Gefühl ist mir, auch was wissen und urtheilen angeht, unendlich mehr werth als alle Professoren der Welt. Mein eigenes Wissen ist auch beinahe immer nur fühlen. Ohne Herz begreife ich nichts. Ich habe irgendwo demonstrirt dass wissen und lieben eins ist. Ich weis recht gut wie fremd dieser Satz ausseht, doch ich fühle dass es wahr ist. Sie werden darüber vieles finden in den Ideen. Wenn Sie so weit sind, wollen Sie dann daran denken dass ich Sie darauf aufmerksam machte in diesem Brief, und mir darüber etwas sagen?

Das erste was ich jetzt thue, um mein Wissen oder Können in Einklang zu bringen mit mein Gefühl, ist so gut möglich - oder so wenig schlecht möglich - Deutsch zu schreiben. Wenn Sie nun nur nicht aus zu vielen Sprachfehlern den Schluss ziehen dass ich Ihnen hasse.-

Dass Sie mich vermissten als ich fort war, ist mir lieb gewesen - doch traurig stimmt es auch. Beim Abfahren dachte ich - nein denken ist's Wort nicht - ich hörte die Musik von Mendelssohn, auf: ‘Es ist bestimmt in Gottes Rath’ u.s.w. Es war mir - doch wozu das? Ich bin so oft getrennt von was mir werth war - so oft wird es noch geschehen - wer das nicht zu tragen versteht, versteht das Leben nicht. Die ganze Natur wirkt nur das eine: verbinden und trennen, d.i. wieder verbinden mit etwas anderes. Jedes atoom ist ewig dauernd ein untreuer Brautigam. Gleich nach der Verlobung hüpft er fort und macht Hof an anderen Atomchen, die ihrerseits nicht treuer sind. Während ich diese Bemerkung schreibe, haben die Atomen die mein Ich machen, unzahlbaren Male Hochzeit gehalten -

Kommen einmal getrennten Atomen einst wieder zusammen? Nein. Jede Verbindung ist neu. Und wir, Menschen, einmal getrennt, werden wir wieder zusammenkommen? Ja, weil wir einen Willen haben, und unsere Verbindungen wählen können. Doch kommt nichts zurück was einst war! Jede Verbindung wird anders sein. Schöner, besser? O, Nicht immer. Gerade das was wir am liebsten wieder empfanden, kommt nie zurück. Bei jede neue Erscheinung von das ersehnte, sagen wir (wenn es uns gegeben ist aufrichtig zu sein, was sehr selten ist) als der Mann den man die Lieblingsspeise seiner Kindheit vorsetzt: ‘Ach, die Pfannkuchen meiner Mutter schmeckten mir doch besser!’ Ich glaube es gern. Seine Phantasie hat sie gezuckert! Wann werden Sie wieder Fleisch auf mein Teller legen?

Also Trugbilder heisst man es, wenn das Auge 40 Sekunden lang treu ist an dem Bilde das es 40 Sekunden sah? Dummes Wort, Trugbilder! Die Farben änderen sich, doch die Umrisse bleiben. Ist das nicht schon sehr viel? Kann man von Augen mehr verlangen? Das Herz kann es kaum. Treubilder sollte es heissen.

Sonntag Abend.

Ich war und bin verstimmt.

Und ich bin so sehr verdriesslich

Weil ich so verdriesslich bin.

So steht in Wolfgang's Büchlein. Das Cilinder meiner Lampe ist auch gesprungen. Wie vielen Tausende Atomen haben sich dazu trennen müssen. Doch scheint es Weh gethan zu haben, denn es geschah mit Larm. Doch jetzt fühlen die gebrochenen Stüchen Glas nichts mehr davon, und wissen's nicht einmal was geschah. Man sollte wünschen ein zerbrochenes Lampencilinder zu sein.

Ich schreibe Ihnen nicht wie ich es wollte. Ich fühle etwas unwahres in mein Ton. Ich sage was ich nicht sagen wollte, und was ich sagen wollte, sage ich nicht. Gewiss haben Sie es schon bemerkt, und wahrscheinlich wissen Sie besser als ich selbst was davon die Ursache ist. Ich sollte Ihnen Bildchen schicken, und kann es nicht. Das eine is zu hübsch, das andere zu hässlich. Meine gute edle Tine seht aus wie ein Chinese, und ich kann es nicht leiden dass sie einen unangenehmen Eindruck machen sollte. Vom kleinen Max (mein Eduard, der jetzt so klein nicht mehr ist) habe ich hübsche und hässliche Bildchen, zu hübsch, und zu hässlich. Nur Nonnie ist ziemlich treu wiedergegeben, - glaube ich. Denn wie kann ich es wissen, ich habe das liebe Kind in zwei Jahre nicht gesehen! Das ist doch zu grausam.

Und ein anderes Bild schicke ich nicht, weil es wieder zu hübsch ist. Das sagte sie selbst. Ich nehme lieber Alles mit wenn ich wiederkomme, dan kan ich dabei sagen was dabei gesagt werden muss.

‘Man muss entsagen können’ sagen Sie. Gewiss. Doch damit ist die Sache nicht aus. Wenn es nur das wäre! In Romane heisst es immer; ‘je pars pour l'Italie!’ Das sind Bücher-Redensarten. Man schleudert ein handvoll Alpen oder Pyreneen zwischen sich und den Gläubigern seiner Seele, und die Geschichte ist aus. So geht es in 's Leben nicht. Glauben Sie mir, wenn nur von Entsagen die Rede war, würde schon längst Alles in der Ordnung sein.

Napoleon hat einmal, vor der Schlacht, seinen Soldaten versprochen dass er sich der Gefahr nicht ausstellen würde. ‘Mes amis, je vous promets que je ne m'exposerai pas.’ Er muss gewusst haben dass er das Recht hatte feig zu scheinen. Erlauben Sie mir egoist zu scheinen. Das Verhältniss wovon sie sagen: es muss gelöst werden’ darf nur so gelöst werden als meine Interesse fordern. Nicht meine Frau, nicht meine Kinder, nicht sie - ich allein muss behalten bleiben. Denn, wenn ich falle, fällt Alles. Wenn ich mich selbst wieder bin (was seit 3, 4 Jahre nicht der Fall war) ist Alles gerettet. Die Nadelstiche haben mich ermattet. Entsagen? Seit Jahre thue ich nicht Anders. Entsagung war es als ich Frau und Kinder verliess aus Armuth! Entsagung als ich sie aus Brüssel abreisen liess, ohne da die Schulden bezahlen zu können, die da gemacht waren, immer hoffend die Zeit würde kommen dass man in Holland meinen gerechten Ansprüche Recht widerfahren lassen sollte. Entsagung war es als ich die sehr schwere Verantwörtlichkeit auf mich nahm die ihre Treue, ihr Leiden um meinentwillen, ihre Verlassenheit mir zur Pflicht machte. O, ich brauche es Ihnen nicht zu sagen, doch die Welt ist dumm, und urtheilt wie ein Schulknabe, und oft wird als Genuss angerechnet was Opfer war.

Doch eigentlich liegt nicht darin das Schwerpunkt der Sache. Ich muss wieder ganz mich selbst sein, weil ich schweres zu thun habe. Das bin ich jetzt nicht. Also Aenderung. Gut! Aber nicht jede Aenderung wird mich nützen. Wie kann ich mich verständlich machen? Denn ich will verstanden sein. - Ein Mann hatte, einen schweren Fracht tragend, einen weiten, weiten Weg abzulegen. Er wär müde. Ein grosser Sack mit Gold (O Gott, Gold ist sie!) drückte ihm am schwersten. Ist die Aufgabe sich seinen Last zu erleichteren dadurch gelöst dass er sein kostbares Gold von sich werft? Befreien, ja! Wegwerfen? Das würde ihm seinen weiten Weg nicht leichter machen. Dadurch würde er nur die Bürde von seinem Schulter auf dem Herzen verlegt haben. O, hätte er irgendwo ein zuverlässiges Plätzchen, ein Freund dem er sein Gold hätte zutrauen können!

Entsagen? Meinen Sie dass sie es nicht kann? Sie will es. Doch wie? Mich allein lassen, ohne zu wissen wenn und wo meine Tine zu mir kommen kann? Denn das wissen wir bis jetzt noch nicht. Um zu expliciren wie schwer das ist, muss ich Geldgeschäfte berühren, und das will ich nicht. Was vielen ganz einfach scheint, ist oft sehr schwer wenn man sich nicht gehörig bewegen kann, und darum ärgert es mir so wenn die Leute so schnell sagen: ‘ich würde...’ und Bücher: ‘je pars pour l'Italie!’ In der sehr complicirten Lage, worin ich mich befinde darf nur eines Hauptzweck sein: das ich ungestört denken und arbeiten kann. Dazu muss ich meine Frau und Kinder zurückhaben, doch ohne zu schwere Armuth. Meine Frau schickte mich oft vom Hause um mich su schützen gegen den Eindrück den unsere Lage auf mich haben würde. Und ich gieng, weil ich mich sparen musste.

Adieu für heute, liebe Freundin. Dieser Brief ist nicht fertig. Ich schreibe wieder. Für heute Abend herzlich herzlich gegrüsst.

Max.